Bild: Petra Zimmer/Komm mir bloß nicht zu nahe - von wegen Beschwichtigung
Bild: Petra Zimmer/Komm mir bloß nicht zu nahe - von wegen Beschwichtigung

Beschwichtigung um jeden Preis

 

Es ist nicht abzustreiten, dass Hunde Beschwichtigungssignale einsetzen, selbstverständlich tun sie das. Es ist auch kein Unsinn oder Quatsch, dass Hunde eher Konfliktmeider denn Konfliktsucher sind, alles bewiesen, alles klar.

Beim Thema Beschwichtigungsignale wird aber schon wieder pauschalisiert was das Zeug hält. Und ich bin nun mal überhaupt kein Freund dieser 0815-Pauschal-Aussagen. Es wird behauptet: "...jeder Hund zeigt in der gleichen Situation die gleichen Beschwichtigungssignale und das IMMER...". Und genau dieses IMMER muss endlich aufgebrochen werden, denn es gibt kein IMMER.

Ich halte auch das fast weltweit bekannte Buch „Calming Signals“ in Auszügen für sehr riskant. In manchen Passagen widerspricht sich die Autorin selbst, auf Drohgebärden wird überhaupt nicht eingegangen. Hunde drücken viel mehr aus als ständig zu beschwichtigen. Und, hätte es mein kleines Rudel nötig, mich andauernd „um Gnade“ zu bitten, würde ich mir einmal Gedanken machen, ob es nicht sein könnte, dass meine Hunde Angst vor mit haben.

Obwohl sich Amy hin gelegt hatte, folgte im Bruchteil einer Sekunde der Angriff
Obwohl sich Amy hin gelegt hatte, folgte im Bruchteil einer Sekunde der Angriff

Zufälligerweise habe ich mir vor kurzem einen Seminarabend zum Thema „Die Sprache der Hunde“ gegönnt. Oder sollte ich im Nachhinein sagen „angetan“ ?

Die Vortragende, eine professionelle Hundetrainerin wie sie betonte, stellte meiner Ansicht nach einige, für mich, sehr überraschende, in meinen Augen teilweise sogar gefährliche Thesen auf. Denn veranstaltet man einen Vortragsabend zur „Sprache der Hunde“, wäre es ganz praktisch auch wirklich die komplette Sprache zu übersetzen und nicht nur einen winzigen, geringen Teil daraus. Würde ein Fremdsprachenkorrespondent nur einzelne Wörter übersetzen, hätte er besser einen anderen Beruf ergriffen.

 

Zwei Stunden lang wurden Beschwichtigungssignale durchgekaut, von denen ich bisher nicht auch nur ansatzweise geahnt hätte, dass es sich dabei um solche handelt. Und ein unbeschriebenes Blatt zum Thema Hundeverhalten bin ich ja nun auch nicht mehr.

Das reichte vom allgemein bekannten Kopf weg drehen, Gähnen, Lefzenlecken über Blinzeln bis zum Hinsetzen und Hinlegen. ALLES was die Hunde auf den von der Vortragenden gezeigten Bildern und Videos taten wurde als Beschwichtigungssignal interpretiert.

Es wurden mal wieder die Gänse von Konrad Lorenz, die Pferde von Monthy Roberts und diesmal sogar Katzen in einen Topf geworfen. „...Pferde, Katzen und Hunde haben die gleiche Körpersprache...“ wurde an diesem Abend allen ernstes behauptet. Ungeachtet dessen, dass es sich hier um absolut unterschiedliche Tiergruppen (Rudeltiere, Jäger, Gejagte und Einzelgänger) handelt. Pferde sind Fluchttiere, Katzen sind (meist) Einzelgänger und Hunde sind Rudeljäger.

Aber super, genial dachte ich, ja was bin ich froh, dass Katzen mit meinen Hunden kommunizieren können. Das ist DIE Ausrede wenn meine Hunde mal wieder die Katze des Nachbarn jagen. „...hätte doch die doofe Katze rechtzeitig gegähnt, dann würden meine Hunde sie nicht jagen, denn sie zeigt dann ja Beschwichtigungssignale...“ kann ich meinem Nachbarn nun allwissend erzählen, wenn er wieder mit dem Besen hinter meinen Hunden her ist und seine Katze verteidigt. Oder haut das mit der Körpersprache bei Hunden und Katzen doch nicht so ganz hin ?

Timmy steht nicht auf weil er beschwichtigt, sondern weil Attila ihn NICHT aufstehen LÄSST, Attila unterdrückt Timmy massiv
Timmy steht nicht auf weil er beschwichtigt, sondern weil Attila ihn NICHT aufstehen LÄSST, Attila unterdrückt Timmy massiv

Mit keinem Wort wurde erwähnt, dass Hunde selbstverständlich ebenso über massive Droh- und Unterdrückungsgesten verfügen und diese auch sehr wohl einsetzen. Als besonders gefährlich empfand ich eine Geschichte dieser Dame, in der sie sogar das Anknurren eines Kindes als Beschwichtigungssignal des Hundes interpretierte. In meinen Augen bedeutet das Knurren ein eindeutiges „...noch ein Mal und es knallt...“ und ist KEINESFALLS ein Beschwichtigungssignal.

Ein weiteres, für mich „erstaunliches“ Beschwichtigungssignal-Beweisbild, zeigte einen Hund in der Vorderkörpertiefstellung (VKT) vor einer Ente. „...sehen sie, der Hund beschwichtigt diese Ente...“ teile die Vortragende strahlend mit.

Uuups, großes Fragezeichen? Warum denn? Hat dieses böse, böse Entchen das arme, arme Hundi bedroht? Warum um alles in der Welt, sollte ein Hund eine Ente beschwichtigen? Und wie bitte reagiert die Ente darauf? Auch mit Beschwichtigungssignalen, vielleicht mit „Schnabellecken“? Das erklärt sie uns aber nicht und nun stehe ich hier, ich armer Thor, und bin so klug als wie zuvor. Ich denke aber zu wissen, dass dieser Hund andere „Hintergedanken“ gegenüber der Ente hatte.

Um Himmels willen, ich bin verwirrt, sollte ich nun doch das Spielzeug der Hunde weg räumen, haben meine Hunde damit womöglich Stress, denn die zeigen vor einem Ball auch immer die Vorderkörpertiefstellung? Meine Hunde beschwichtigen ihren Ball!! Bisher war ich eigentlich immer der festen Überzeugung „...die wollen nur spielen...“

Würden Hunde wirklich eine Ente beschwichtigen?
Würden Hunde wirklich eine Ente beschwichtigen?

Auch das Hinsetzen und Hinlegen wurde an diesem Abend zum Beschwichtigungssignal erhoben. Als "Beweis" zeigte die Vortragende eine Videosequenz mit einer Hündin und einem Rüden. Der Rüde ist sehr freundlich, wedelt, freut sich, tänzelt um die Hündin herum, zeigt nicht ansatzweise Droh- oder Provokationssignale. Das einzige, der verliebte „Tropf“ versucht ständig die Hündin zu besteigen und flirtet auf Teufel komm raus. Als die Hündin nach dem Rüden schnappt und sich dann hinsetzt, großer Jubel der Vortragenden „...sehen sie, jetzt beschwichtigt sie ihn...“. Das nach dem Rüden schnappen wurde geflissentlich übersehen.

Ich persönlich denke, das belästigte Hundemädel hatte von dem Burschen schlicht und einfach die Nase voll und kein Interesse an einer körperlichen Vereinigung. Was bleibt ihr erst mal außer Hinsetzen und dann Hinlegen. So kommt der „Bube“ nicht mehr an sie ran. Mit Beschwichtigung hat das für mich persönlich nichts zu tun, die Hundedame war schlicht und einfach genervt. 

 

Zwei Tage alte Welpen sind blind und taub, sie beschwichtigen nicht
Zwei Tage alte Welpen sind blind und taub, sie beschwichtigen nicht

Großes Stauen und „...mei süüüßßß...“ gab es dann im Saal, als die ersten Welpenbilder auftauchten. „...schon zwei Tage alte Welpen senden Beschwichtigungssignale an die Geschwister und Mutter aus...“ erzählt die Dame dem mit großen Augen lauschenden Hundevolk. Im zu diesem Thema veröffentlichten Buch wird sogar behauptet, das Welpen nach ein paar Stunden schon Beschwichtigungssignale zeigen.

Grübel, grübel und studier? Zwei Tage alte Welpen sind doch blind, taub und riechen auch noch nicht so gut. Ich überlege „...wie kann ein Hund Signale aussenden, wenn er doch noch nicht mal welche empfangen kann?...“ Und wieso sollte er überhaupt etwas aussenden, wenn es seine Geschwister noch nicht mal mitkriegen? Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, der Seminarleiterin aber wohl auch, denn hier gibt es ebenfalls keine Erklärung, WARUM ein Welpe so etwas für ihn absolut sinnloses tut.

Zwei Hunde am gleichen Leckerchen - es wird NICHT beschwichtigt
Zwei Hunde am gleichen Leckerchen - es wird NICHT beschwichtigt

Sinnlos, genau das ist es. Ich persönlich denke ein Hund tut nichts ohne Grund, doch so manch selbst ernannter „Hundeflüsterer“ ergeht sich in Interpretationen, die für mich teilweise haarsträubend klingen. Egal ob beschwichtigen, drohen oder angreifen. WICHTIG ist die SITUATION in der ein Hund etwas tut. Für Hunde hat JEDES Handeln einen tieferen Sinn, den der Mensch nur nicht immer erkennt. Ein Hund gähnt nicht sinnlos in der Gegend rum, sondern nur in Momenten in denen es für ihn einen wirklichen Sinn macht. Egal ob es vielleicht der Beschwichtigung dient oder ob er einfach nur müde ist, der Hund leckt sich die Lippen auch dann, wenn er gerade etwas leckeres gefressen hat, vor allem bei „Mahlzeiten, die eigentlich nicht in die Collie Nase hinein gehörten, und er legt sich hin, weil er vielleicht einfach nicht mehr stehen möchte.

Dem Ganzen die „absolute“ Erklärung BESCHWICHTIGUNGSSIGNAL zu geben halte ich persönlich für sehr kritisch und manchmal komplett daneben. Und für gefährlich sogar, wenn an solchen Abenden auf die ebenfalls vorhandenen Drohsignale nicht eingegangen wird. Würden DIESE von Menschen früher und besser verstanden, gäbe es sicherlich weniger Beißunfälle.

 

Es gibt sie, die Beschwichtigungssignale, ja, auch wenn der Eindruck entsteht, ich würde das abstreiten. Dieser Eindruck täuscht, ich streite das nicht ab. Ich möchte mich einer von mir sehr geschätzten Tierlehrerin anschließen, die in einem Workshop sagte:

„...ich würde diese Signale lieber als Respektssignale der Hunde dem Menschen gegenüber sehen...“

Und genau das ist es, sollten wir nicht auch endlich anfangen unseren Hunden mehr Respekt zu zeigen, als sie auf ständig um Vergebung bittende Bauchkriecher zu reduzieren? Das wäre mein Wunsch.